Autor: Claudia Simone Hoff Viel Platz zur Essenszubereitung, interessante Gespräche mit Freunden, gemütliches Beisammensein? Klingt gut, zumal es schon immer so war, dass sich auf Partys alle Gäste in der oft zu engen Küche tummelten. Enge war gestern, heute wünscht man sich mehr Platz. Deshalb rückt die Küche langsam aber sicher in den Mittelpunkt der Wohnraum-Gestaltung. Die Wohnküche vereint verschiedene Funktionsbereiche wie Essenszubereitung, Essensaufnahme und Wohnen in einem – meist geräumigen – Raum. Die Küchenhersteller haben sich einiges ausgedacht, um dem Trend zur Wohnküche nachzukommen und neue Design-Ideen ausgetüftelt. Die Küche wird zum Wohn- und Erlebnisraum, der aktiv bewohnt und offen gezeigt wird.
Die Küche als Gesellschafts-PhänomenDer Küchenraum und seine Gestaltung haben seit dem 19. Jahrhundert eine grundlegende Wandlung erfahren – maßgeblich verantwortlich dafür sind gesellschaftliche Umwälzungen. Im 19. Jahrhundert hatte die Küche als eigener Raum nur eine nebensächliche Bedeutung und lag deshalb weit entfernt von den Wohn- und Gesellschaftsräumen. Eine Neubewertung des Küchenraums brachte erst die Frauen- und Lebensreformbewegung. In den 1920er Jahren wurde die Küche, vor allem von den Architekten des „International Style“, vorrangig als rein funktionaler Raum für die Hausfrau betrachtet. Prototyp dieser Betrachtungsweise war die von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lohotzky entworfene
“Frankfurter Küche“, die tausendfach in den Wohnungen verbaut wurde. Diese Küche zeichnete sich vor allem durch eine straffe Arbeitsorganisation und Raum-Minimierung aus: Der Weg zur rationalisierten Einbauküche, insbesondere in der „Wirtschaftswunderzeit“ en vogue, war geebnet. Aber bereits damals gab es, auch von Architektenseite, heftige Proteste gegen die spartanische Lösung der „Frankfurter Küche“. Der Wiener Architekt Adolf Loos beispielsweise setzte sich für die Wohnküche ein, in der er einen „Erlebnisgewinn für die Familie“ sah.
Erst gegen Anfang der 1970er Jahre gerieten Küchen-Grundrisse und -Möblierungen in Bewegung, denn es gab Designer, die Kochstellen entwarfen, die nicht mehr an einen bestimmten Raum gebunden waren. Ein Beispiel dafür ist die „Kugelküche“, die Luigi Colani für den Küchenhersteller Poggenpohl entwarf, sowie die von Joe Colombo für den italienischen Hersteller Boffi entworfene und inzwischen wieder aufgelegte
”Minikitchen“, die ihren Platz überall findet, wo ein Stromanschluss vorhanden ist. Leider hat diese Mobilität einen Nachteil: Ein Becken zum Abwaschen? Fehlanzeige.
Die Küche als WerkstattHeute wird in der Küche gekocht, gegessen und geredet. Otl Aicher spricht in seinem 1982 erschienen
Buch ”Die Küche zum Kochen. Werkstatt einer neuen Lebenskultur“ über die Küche als gemeinschaftlich genutzten Raum. Und liefert dabei ein wichtiges Stichwort: Die Küche als Werkstatt. Sie wird als Raum begriffen, in dem etwas hergestellt wird – ein Ort kreativer Arbeit. Nicht nur Speisen werden hier zubereitet, es kann auch schon mal vorkommen, dass in der Küche gelesen, Schularbeiten gemacht oder Weihnachtsgeschenke gebastelt werden. Hatte im 19. Jahrhundert – im Zuge des Taylorismus – die Effizienz in der Küche Einzug gehalten und wurden die Bereiche Essen, Schlafen und Wohnen streng voneinander abgetrennt, so ist nun zu beobachten, dass sich Küchen- und Wohnbereich einander nähern. Der Küche wird kein eigener, abgetrennter Raum mehr zugewiesen, sondern sie wird mittels raumgreifender Elemente in den Wohnraum integriert und liegt deshalb auch an bevorzugter Lage innerhalb des Wohnungsgrundrisses. Einrichtung und Gesamtkonzeption unterliegen nun neuen Anforderungen: Leise laufende Schubladenauszüge, schallgedämpfte Türen, ergonomisch eingebaute Elektrogeräte oder ausgeklügelte Beleuchtungskonzepte gehören inzwischen zur Standardausstattung jedes hochwertigen Küchenmöbel-Programms.
Die Küche als Luxus-ObjektWar es früher die „amerikanische“ Küche, in der ein Hochtisch mit Barhockern einen mehr oder weniger gelungenen Übergang zum Wohnraum darstellte, so sind die Küchenhersteller – und besonders die im Highend-Bereich – heute viel kreativer. Das System
”Modus” von Binova ist dafür ein gutes Beispiel. Die luxuriösen Küchenmodule, entworfen von den Designern Fabio Casiraghi und Paolo Nava, bestehen aus verschiedenen Elementen, die nicht unbedingt sofort als Küchenelemente zu erkennen sind. So gibt es beispielsweise ein Modul, das frei im Raum positioniert werden kann und dessen Rückwand eine plane Holzfläche mit schlichten Regalen bildet. Andere Elemente verwischen die Grenzen zwischen Küchenmöbel und Architektur: Raumhoch konzipiert fungieren sie als Raumtrenner bzw. eleganter Übergang zum Ess- und Wohnbereich. Die verwendeten hochwertigen Materialien Holz, Stein und Stahl sind solide verarbeitet, so dass die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen gut zur Geltung kommen. Der Trend zur Küche im offenen Wohnraum ist wahrscheinlich der Grund, warum das Küchenmobiliar immer luxuriöser wird. Gerade in der Küche wird der Grad der Distinktion ablesbar. Das trifft auch auf das von Piero Lissoni für den italienischen Luxus-Küchenherstellers Boffi entworfene
”Table System” zu. Dieses besteht aus Arbeitsflächen, die sowohl einzeln als Kücheninsel sowie in Verbindung mit weiteren Elementen als Halbinsel im Raum platziert werden können. Die Küchenlinie “Varenna Young” des italienischen Herstellers Poliform wurde von Carlo Colombo entworfen. Diese Küche besticht durch große Flexibilität und kommt daher dem Trend zur Wohnküche entgegen. Besonders schön sind die farbigen Elemente, die Gestaltungszeichen setzen und verschiedene Raumfunktionen optisch voneinander trennen.
Es könnte aber auch in eine ganz andere Richtung gehen: Schluss mit der teuren Designer-Hightech-Küche und eher den Werkstattcharakter der Küche betonen - das scheint sich der Designer Mike Meiré gedacht zu haben, als er mit seinem
”Farm Project“ eine Versuchsküche entworfen hat, die so unprätentiös gelungen ist, das man die nächste Stehparty direkt vor Augen hat und sich gleich ins (nicht zu enge) Getümmel stürzen möchte.