Oktober 23, 2008

Mit Liebe gemacht


Autor: Nadine Claudius


Was passiert, wenn die Speisen auf dem Teller plötzlich anfangen von sich zu erzählen? Wenn es nach der jungen niederländischen Designerin Marije Vogelzang geht, ist dies nicht weiter verwunderlich, denn Ihrer Überzeugung nach findet sich hinter jeder Facette dessen, was sich täglich zum Verzehr auf unseren Tellern findet, eine kleine Geschichte. Überlegungen, angefangen von der Herkunft der Zutaten, der Art und Weise ihrer Zubereitung, sowie über den spezifischen Anlass eines Essens, haben einen starken Einfluss darauf, wie etwas schmeckt. Der gute Geschmack ist der rote Faden, der sich durch die Arbeit von Marije Vogelzang zieht. Seit 2000 hat sie sich in ihren Studios in Amsterdam und Rotterdam auf Designprojekte rund um den kulturellen und sozialen Hintergrund von Essen spezialisiert, die nicht selten ins kulinarisch Ungewohnte abdriften.


„Ich finde es faszinierend, etwas zu gestalten, dass Menschen Ihren Körpern zuführen. Man kann jemandem durch nichts näher kommen, als durch Essen.“ Marije Vogelzang legt Wert darauf, nicht als "Food Designerin" bezeichnet zu werden, dies klinge zu sehr nach kommerziellem Styling. Die Absolventin der Design Academy Eindhoven favorisiert die Begrifflichkeit „Eating Designer“, denn die Basis Ihrer kreativen Werke und Köstlichkeiten bildet nicht nur der visuelle Augenschmaus, sondern vielmehr das wichtigste Element des Essens – der Geschmack!

Ein Begräbnis als Geburtsstunde

In weniger als fünf Jahren hat sie es geschafft das „Eating Design“ zu etablieren und sich mit ausgefallenen Ideen einen ausgezeichneten Ruf zu erwerben. Alles begann 1999 im Rahmen eines Studienprojektes, als die Studentin der Design Academy Eindhoven ein Begräbnismahl in der Farbe Weiß, der Trauerfarbe vieler Kulturen weltweit, inszenierte.

Bestandteil dieses Szenarios waren einfache, unprätentiöse Hors d'œuvres auf weißem Geschirr, das sie eigens für diesen Anlass entworfen hatte. Bilder von damals zeigen ein ruhiges, nahezu himmlisches Bild, in dem sich jedes noch so kleine Detail in weiß darstellte. Ob nun auf solch puristisch, ästhetische Weise inszenierte Snacks tatsächlich Trauernden Trost zu spenden vermögen, ist schwer zu sagen. Die Ironie des Schicksals wollte jedoch, dass dieses Projekt rund um ein Begräbnis zur Geburtstunde der Institution „Proef“ wurde.

Neugierde erwünscht!


Heute kann man in ihren Atelier-Restaurants – "Proef" steht im Niederländischen für Geschmack – die Kreationen bestaunen und kosten: Nachdem zunächst im November 2004 in Rotterdam das erste "Proef" das Licht der Welt erblickte, eröffnete kurze Zeit später in Amsterdam ein weiteres Restaurant unter gleichem Namen. Die Gäste finden dort eine Erlebniswelt, in der Geschmack, Duft, Farben und Formen, die Art der Zubereitung, die Inhaltsstoffe und alles, was Essen impliziert, die Protagonisten sind.

Das gesamte Team um "Proef" macht kein großes Geheimnis aus seinem Schaffen. Wer eine hermetisch abgeriegelte Experimentierküche vermutet, in der unter Verschluss die neuesten Design Kreationen entstehen, der sucht vergebens.
In den gemütlichen Atelierräumen ist jeder Augenzeuge, wie die kunstvoll inszenierten und zudem überaus delikaten Speisen für verschiedenste Events oder aber den einzelnen Gast vor Ort zubereitet werden. Platz genommen werden darf jeweils am Samstag und Sonntag an der großen Tafel inmitten des Ateliers. Letztere ist bereits zu einer Art Markenzeichen avanciert, denn nicht selten bildet sie das zentrale Element vieler erfinderischer Essens-Inszenierungen.

Langeweile? Fehlanzeige!

Alle sechs Wochen gibt es ein neues Thema, zum Beispiel „apple harvest“, „war food“, „apphrodisiacs“ oder „forgotten vegetables“. Essen wird hier zum Erlebnis und reicht dabei oftmals weit über das Vorstellungsvermögen der Gäste hinaus. Wie wäre es beispielsweise einmal barfuß über einen Marshmellow-Teppich zu laufen oder der Herstellung von Pistolen-Lollies aus heißem Zucker beizuwohnen?

Gespeist wird so gut wie nie von Tellern oder anderer Tafelware. Es ist vielmehr so, dass die zubereiteten Speisen zum Bestandteil eines künstlerischen Gesamtkonzeptes werden, oftmals bestehend aus Skizzen und Zeichnungen, untermalt mit Musik, auf Objekten drapiert und von Menschen bestaunt.

Geht nicht, gibt's nicht!

Im Wunderland von Marije Vogelzang ist scheinbar alles möglich. Wer es sich leisten kann, erhält per Kurier ein Frühstück aus Ihrem Atelier sogar ans Bett geliefert oder hat die Möglichkeit, seine Herzensdame mit einem Sieben-Gänge-Menü samt Garcon, gedeckter Tafel, feinstem Porzellan und Kronleuchter von der Decke zu beeindrucken. Insbesondere diejenigen, für die es um weit mehr als nur das Essen im herkömmlichen Sinne geht, können gerne nach allen nur erdenklichen Extras fragen, angefangen von einer Kindergeburtstagsparty bis hin zu einem Dinner im intimen Kreis einer inszenierten Theaterveranstaltung.

Unabhängig vom Auftragsvolumen arbeitet Marije Vogelzang bei der Planung ihrer Aufträge stets akribisch – jedes noch so kleine Detail ist relevant: neben der Herkunft der Zutaten, ihrer Oberfläche und den Farben sind ebenso die kulturelle Bedeutung und besonders die emotionale Wertigkeit ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit. Und genau diese Attitüde wissen viele Ihrer Auftraggeber zu schätzen, zu denen unter anderem Hermès, BMW und L'Oréal zählen.

Für die Daheimgebliebenen

Wem dieser Augenschmaus nicht persönlich zuteil werden kann, dem sei noch kurz mit auf den Weg gegeben, dass all die Dinge, die Marije Vogelzang aus einfachen Nahrungsmitteln zu Kunstwerken oder Erlebnissen formt, auch auf Ihrer Webseite zu bewundern sind. Hier finden sich neben Fotos von Ausstellungen, Mahlzeiten und Events auch meterlange Buffets, Obstschalen aus Brot und farbenfrohe Gemüse-Arrangements.

Liebevoll in Szene gesetzt, fällt es dem Einen oder Anderen sicherlich schwer, diese kleinen Schönheiten einfach so zu verspeisen. All den Ängstlichen sei jedoch gesagt, dass es sich bei „Proef“ neben Experimentierfläche und Ideenschmiede auch um ein Restaurant handelt, bei dem Verzehr und Genuss durchaus erwünscht sind.

Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack.


Buchempfehlung!

Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack

Autor: Claudia Simone Hoff


In knallrotes Leinen ist dieses Buch gebunden. Auf dem vorderen Buchdeckel nichts weiter als Titel- und Herausgeberangaben und ein kleines Piktogramm mit orangefarbigen Löffel und Reißschiene, mittig platziert. Diese stilisierten Werkzeuge weisen bereits darauf hin, um was es in diesem 160 Seiten umfassenden Buch, das von Petra Hagen Hodgson und Rolf Toyka herausgegeben wurde, geht: um die vielgestaltigen Zusammenhänge von Architektur, Nahrung und Kochen.

In 17 architekturtheoretischen Aufsätzen von namhaften Wissenschaftlern wie Fritz Neumeyer und Stanislaus von Moos sowie Architekten wie Claudio Silvestrin, Ian Ritchie oder Annette Gigon werden ganz verschiedene – manchmal gar erstaunliche – Themen behandelt und Assoziationen hergestellt. Und genau deshalb wurde das Buch auch mit dem programmatischen Titel „Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack“ versehen.


Über das rechtes Maß, Begehren und das Wesentliche


Da wird über „Das rechte Maß im Kochen“ gesprochen, über „Die Reproduzierbarkeit des Geschmacks“ philosophiert, „Fastengebote und Entgleisungen des Begehrens“ aufgedeckt oder „Über das Wesentliche in der Architektur“ geschrieben. Schon an den teilweise gekonnt formulierten Überschriften der Aufsätze wird deutlich: Das Thema Architektur, Nahrung und Kochen ist ergiebig. Denn sowohl Architektur als auch Essenszubereitung sind Bestandteile unserer Kultur. Mit einem großen Unterschied: Ein schlechtes Essen lässt sich mehr oder weniger gut und schnell verdauen, schlechte Architektur leider nicht.

Kochen und bauen sind grundlegende Tätigkeiten des Menschen, eingebunden in ein kulturelles Umfeld. Sie entspringen zwar erst einmal der Notwendigkeit, ihnen ist aber immer auch ein ästhetisch-sensorisches Moment inne. Material und Bearbeitung spielen sowohl in der Architektur als auch beim Kochen eine herausragende Rolle für das endgültige Ergebnis. Da wird gemessen und proportioniert, geformt und gestaltet, gefügt und komponiert, wie Petra Hagen Hodgson feststellt. Und weiter führt sie in ihrer Einleitung zum Buch fort, dass nicht nur in der Architektur, sondern auch beim Kochen ästhetische Kategorien wie Harmonie, Proportion und Komposition eine Rolle spielen. Und recht hat sie, wenn man beispielsweise an die Kreationen des katalanischen Meisterkochs Ferran Adrià denkt.

Was hat Musik mit Kochen zu tun?


Peter Kubelka sieht in seinem Aufsatz „Architektur und Speisenbau“ in der Zubereitung der Speisen gar die erste Kunstgattung der Menschheit, da sie wie alle anderen künstlerischen Disziplinen die Weltsicht einer Zivilisation ausdrücke. Insbesondere den Zusammenhang zur Musik zeigt Renate Breuß auf, wenn sie über „Das rechte Maß im Kochen“ schreibt. Sie listet am Ende ihres Aufsatzes Proportionsverhältnisse auf, die gleichermaßen in Architektur, Musik und Kochen vorkommen: Eine Quinte beispielsweise taucht im feinem Mürbeteig auf, der im Verhältnis von drei Teilen Mehl und zwei Teilen Butter angemischt wird. Und können wir uns Essen ohne Architektur vorstellen? Nein, eigentlich nicht. Denn selbst beim Essen im Freien, beim Picknick setzen wir uns zumindest auf eine Decke, markieren damit den Raum und decken einen imaginären Tisch. Essen ist also nicht vorstellbar ohne einen baulichen Kontext, egal wie bescheiden er sich ausnimmt. Das stellt Fritz Neumeyer fest und schwelgt in kulinarischen Erinnerungen à la italiana: Pergola, Loggia, Terrasse – wer denkt da nicht an südländische Sommerfrische und üppige Festmahle? Und so fährt der Autor, schwelgend in Erinnerungen, fort: „In Italien ist mein Schmecken auf den Geschmack gekommen.“

Dieses Buch ist besonders charmant, weil es sich durch ganz unterschiedliche Themen auszeichnet, zum Denken und Weiterrecherchieren angeregt. Seine eigentliche Besonderheit erlangt es erst durch die Vielfalt der Autorenpersönlichkeiten. Während einige Aufsätze eher trocken-wissenschaftlich daherkommen, bekommt man beim Lesen anderer Essen und Architektur, das Sinnlich-Ästhetische so serviert, dass man am liebsten gleich losreisen möchte und sei das Ziel nur der nächste Delikatess-Laden oder das nächste Ristorante. Zum Schluss noch ein Amuse Geule: 1250 kg Fleisch, 400 kg Fisch, 150 kg Hummer, 100 kg Kaviar, 30.000 Krebse, 20.000 Austern und 18.000 Brötchen: So sah 1913 die tägliche Anlieferung für das Berliner Restaurant Kempinski an der Leipziger Straße aus. Nun, 10.000 hungrige (und verwöhnte) Mäuler zu stopfen, ist eben nicht so einfach.

Petra Hagen Hodgson, Rolf Toyka (Hrsg.):
Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack.
Basel/Boston/Berlin (Birkhäuser Verlag) 2007.
200 Abb., 160 S., 39,90 €.
ISBN-13: 978-3-7643-7331-3.


von Designlines.

Super

Frau Schröder hat einen gervorragenden Link zu einem hervorragenden Blog gefunden und geniert sich, das Lob einzuheimsen. Daher nehm ich es an: ha.

Es folgen demnächst bestimmt öfters Artikel von Designlines.

Frau Schröder sagt: "Danke für das Lob, Frau Herder"
und korrigiert gleich den Link zum richtigen Artikel.

Oktober 14, 2008

Kalorien zählen mit dem iPhone

Ich glaube der Tante kein Wort ;-)