Mai 30, 2008

alte kluge aufsätze über das leben und das kochen


Karl Friedrich von Rumohr: Geist der Kochkunst von 1823.
Das Buch vertritt ein idealistisches Konzept, das im Zeichen der Verklärung des Materiellen durch die Idee der Reinheit steht, einer Versöhnung des Stofflichen der Nahrung mit dem Geist durch die Rückkehr zum Ursprung, durch die Auffindung der »Ursuppe« und des »Urbreis« unserer Vorfahren. Höchste Werte der Kochkunst sind für Rumohr das Einfache, das Ungemischte und das Ungekünstelte.

Jean-Anthelme Brillat-Savarin: Physiologie du goût von 1825.
Ihm sind Nahrung und Liebe die beiden Grundkräfte kulturellen Fortschritts. Sie sind es, die Lebens-Substanz produzieren, »elan vital«, verdichtet in der Bratenessenz, dem »osmazôme«, wie er es nennt. (Er ist ein Freund von Neologismen.)
Brillat-Savarins Essenz-Physiologie plädiert für Synästhesie, das Zusammenwirken der fünf Sinne in einem sechsten, der dem Menschen erst aus dem Essakt erwächst, ihn »ganz« macht. Nahrungsaufnahme ist für Brillat-Savarin ein sozialer Akt, dessen rituelle Figuren Konversation und Konvivialität sind, Tischgespräch und gastliche Geselligkeit.

Des Antonius Anthus Vorlesungen über Eßkunst aus dem Jahre 1828. »Anthus« ist ein Pseudonym, der wahre Name des Autors lautet Gustav B. Blumröder – Schreiben über Essen ist genierlich in dieser Zeit. Anthus war Mediziner und Psychiater, Gerichtsarzt und zuletzt Reichstagsabgeordneter. Sein Buch ist der jungdeutsch-biedermeierliche Versuch einer ästhetischen Nobilitierung von Kochkunst und Esskunst durch Verbindung eines spießbürgerlichen Materialismus mit dem Anspruch höherer Bildung nach dem Motto: Idealist, bekenne dich zu deiner Körperlichkeit. »Ein Eßkünstler ohne gute Zähne«, heißt es da, »ist wie ein Raffael ohne Hände.«

Ziel ist die Erschaffung des »denkenden Essers«, des »Esskünstlers«, der, einen eigenen Stil entwickelnd, dem »Essnaturalisten« (dem Speisenverschlinger) entgegengestellt wird. Die beiden Leitsätze von Anthus lauten: »Der Mensch ist, wie er isst« und »Ästhetik kommt doch nun einmal von ›ich schmecke‹ her«. Darauf wird Nietzsche später insistieren.

Der gastrosofische Ertrag der Vorlesungen verdichtet sich in zwei Strukturmustern, die der Philosophie der Zeit entstammen: dem Muster des präsentischen Erlebens und demjenigen des Denkens in Gegensätzen. Zum ersten Grundsatz heißt es: »Wie für die schönen Künste und die Lebenskunst, so gilt auch für die Eßkunst das Erfassen des Moments, das Festhalten glücklicher Aperçus.« Und in Bezug auf das ästhetische Strukturwissen aus der Antithese argumentiert Blumröder gut hegelianisch, Speisen seien in Satz und Gegensatz zu konzipieren; wobei es einfache und potenzierte Gegensätze gibt. Zunächst zum einfachen Gegensatz: »Warum entspricht frischer Gurkensalat einer gebratenen Taube so innig?« Weil die »trockene, hitzige und derbe Faser des Taubenfleisches« der »sanften Milde oder phlegmatisch-lymphatischen Gurke« entgegengestellt wird. Und nun der potenzierte Gegensatz, der sich am Beispiel der »sogenannten Speckkuchen« strategisch bewährt: »Sie bestehen bekanntlich aus feinem, mit Milch und Eiern gekneteten Mehl und enthalten auf ihrer Oberfläche einige fein gewürfelte Speckstückchen mit etwas Kümmel. Hier ist also der vegetabilische Gegensatz von Mehl und Kümmel durch die animalischen Antithesen von Milch, Eiern und Speck bereits überboten.«

Blumröders Buch zeigt, dass die passionierte Wissenschaft von der Esskunst fortschreitender Differenzierung und Komplexitätssteigerung fähig ist, wie das die Entwicklung nach 1945 in Deutschland eindrucksvoll gezeigt hat, aber doch nicht eigentlich als Geschichte des Fortschritts gelesen werden kann. Dass aber der Esskünstler ein »höheres Wesen« und »das Essen ein Kunstwerk« ist, wie Blumröder im 19. Jahrhundert behauptet, wird, im 21. Jahrhundert, durch die Eat Art eines Daniel Spoerri durchaus einleuchtend gemacht.

Vielleicht ist das Buch wirklich nicht so schlecht.

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